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Boizenburg zeigt Flagge

Interview mit Bürgermeister Jäschke: Jeder zehnte in der Stadt gemeldete Bewohner hat ausländische Wurzeln

Quelle: SVZ vom 18.07.2020

Boizenburg

Die Elbestadt zeigt Flagge. Unübersehbar steht mit großen Lettern an der Fassade des Rathauses auf einem Banner zu lesen: „Boizenburg bleibt bunt“. Für Bürgermeister Harald Jäschke eine Aussage, zu der er steht. Andere scheinen sich daran zu stoßen. Bei der unteren Bauaufsicht liegt eine Anfrage vor, ob denn solch ein Bekenntnis an einem öffentlichen Gebäude überhaupt zulässig ist. Der Verwaltungschef wartet auf eine Antwort der Behörde. Fällt diese in seinem Sinne aus, will er das Banner wegen seiner leicht verblichenen Farben gegen ein neues austauschen. Denn, so Harald Jäschke, Boizenburg ist auch von seiner Bevölkerung her bunt. Etwa jeder zehnte in Boizenburg gemeldete Bewohner hat ausländische Wurzeln. SVZ-Redakteur Dietmar Kreiß sprach mit dem Bürgermeister darüber, wie sich die Migranten eingelebt haben.


Herr Jäschke, wie viele Einwohner leben aktuell in Boizenburg und wie viele davon haben eine internationale Geschichte und ausländische Wurzeln? Per 15. Juni dieses Jahres zählte Boizenburg 11 450 gemeldete Einwohner. Das ist eine relativ frische Zahl aus unserem Meldeamt und leider nicht die Zahl, mit der wir offiziell, etwa bei der Berechnung der Schlüsselzuweisung, gehandelt werden. Da sind es, warum auch immer, nur zwischen 10 600 und 10 700 Boizenburger. Wie dem auch sei, haben von unseren 11450 Einwohnern 1014 Personen oder 8,86 Prozent unserer gesamten Bevölkerung eine ausländische Staatsangehörigkeit.


Wo kommen die Migranten ursprünglich her? Diese 1014 Frauen und Männer stammen aus fünf Kontinenten und 54 Nationen. Australien fehlt, es ist tatsächlich auch Ozeanien mit einem Zuwanderer aus den Philippinen vertreten. Das Gros sind Polen mit 386 und Rumänen mit 235. Ansonsten ist sozusagen alle Welt bei uns zu Hause, beispielsweise von Afghanistan, Amerika und Aserbaidschan über Bosnien-Herzegowina und Brasilien bis hin zu Großbritannien, Bulgarien, China, Dänemark, die Dominikanische Republik sowie Georgien und den Kanaren, Griechenland und Vietnam.


Befinden sich unter unseren ausländischen Mitbürgern viele Flüchtlinge? Meines Wissens sind es relativ wenige Flüchtlinge, sondern mehr Auswanderer. Aus Afghanistan flohen, um ein Beispiel zu nennen, etwa 25 Menschen vor Krieg, Gewalt und Vertreibung hierher, jeweils 12 aus Syrien und Eritrea. Alles in allem sind es also um die 60 Flüchtlinge. Eine ganz überschaubare Zahl, denke ich, die ja auch kaum weiter im Stadtbild auffällt.


Was erwidern Sie jenen, die behaupten, dass uns die Migranten auf der Tasche liegen? Dass ich das grundsätzlich anders sehe, sie vielmehr unser Leben bereichern. Es sind Menschen, die hier bei uns leben und arbeiten wollen, also in der Tat ihren Lebensunterhalt verdienen, zum Beispiel in Fabriken und auf Feldern. In der Regel sind es vermutlich Beschäftigte, die Arbeitgeber wahrscheinlich auch über Dritte aus dem Ausland einkaufen, um letztendlich Maschinen und Anlagen zu bedienen. Die Schlachterei ist da auch bei uns nur ein Thema, erfreulicherweise lange nicht so heftig wie etwa bei Tönnies. Ich denke aber auch an andere Industriezweige, an die Gemüsebauern in Gresse sowie an Ärzte, Schwestern und Pfleger im Gesundheitswesen, an Restaurants und auch kleinere Gewerke wie Schneider und Einzelhändler. Für mich sind dies alles Zeichen dafür, dass wir ohne unsere ausländischen Mitbürger um vieles ärmer wären.


Also würden Sie allgemein von guten Nachbarn in Boizenburg reden? Ja, auch wenn unrühmliche Ausnahmen in allen Lebenslagen hier wie dort die Regel genauso bestätigen, wie jeder erfüllte Wunsch einen neuen zu wecken vermag. Ich würde mir wünschen, dass wir noch viel mehr miteinander unternehmen, anstatt nebeneinander jeder für sich etwas zu tun. Bei gegenseitigem größeren Interesse wären meines Erachtens vorhandene Angebote und Aktivitäten ausbaufähig.


An welche Angebote denken Sie konkret?

Dank der Willkommensinitiative, die sich 2015 gründete, als der Flüchtlingsstrom Deutschland vor eine besondere Herausforderung stellte, kann, wer will, die deutsche Sprache erlernen. Es gibt eine Ausländerberatung von der Awo, die hauptsächlich im Bereich der schwarzafrikanischen Menschen tätig ist. Ich vermute, dass sich viele Ausländer untereinander selber helfen. Wer sich indes wirklich verstehen will, muss sich gut kennen, und das sollte schon bei den Kindern beginnen.


Stichwort Kinder. Unter den ausländischen Mitbürgern sind auch viele Mädchen und Jungen. Für sie haben wir Programme und Aktionen vor allem auch im Rahmen des Bündnisses für Demokratie, das die Städte Boizenburg und Lübtheen gemeinsam mit Leben erfüllen. So gab es zum Beispiel in der Kindertagesstätte in der Bahnhofsvorstadt „Kinderland“ von der Awo die Geschichte mit allen möglichen Nationen und allen möglichen Essen, wo man in die Küche der anderen schauen und natürlich auch probieren durfte. Das war ein ganz praktisches und leckeres Zusammensein, wie es auch in der katholischen und evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde stattfindet. Ich erinnere mich auch an den Aktionstag in der Ludwig-Reinhard-Schule und in der Bibliothek mit der Bauchtänzerin und dem Trommler, was auch verschiedene kulturelle Einblicke ermöglichte. Solche Sachen sind, denke ich, wichtig. (Quelle: SVZ vom 18.07.2020)

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